Tilo teilt mir gerade mit, dass unser Interview auf dem 33c3 online ist. Wir hatten 30 Minuten geplant und am Ende war es dann eine knappe Stunde und ich kam in den nächsten Vortrag nicht mehr rein :-)

Falls jemand von einem externen Link kommt: Auf dieses Interview und ein paar nachfolgende Gespräche bezogen sich diese Ausführungen.

Update: Hups, beim Link fehlte ein Zeichen.

Foto: Stella Schiffczyk unter CC0

Das Abmahnbeantworter-Team will „schlampig arbeitende Kanzleien durch Druck auf ihre Geldbörse nachdrücklich an ihre Pflicht zur Sorgfalt erinnern.“ Illustration: Stella Schiffczyk unter CC0

Im August haben der Chaos Computer Club und Menschen aus der Freifunkbewegung ein Tool an den Start gebracht, das WLAN-Betreiber unterstützt, die unberechtigt wegen Urheberrechtsverletzungen abgemahnt wurden. Auf der Website des Abmahnbeantworters kann sich jeder, der eine unberechtigte Abmahnung erhalten hat, mit wenigen einfachen Schritten durch ein Formular klicken. Als Ergebnis erhält man ein höflich und sachlich formuliertes Schreiben, das man an die Abmahnkanzlei senden kann.

Auf dem 33. Chaos Communication Congress haben mit Beata Hubrig und Erdgeist zwei der Menschen, die für das Projekt verantwortlich sind, die Idee hinter dem Abmahnbeantworter dargelegt und nächste Schritte gegen die Abmahnindustrie angekündigt (Video bei ccc-tv).

Beata Hubrig haben wir im Anschluss zu ersten Erfahrungen und konkreten Plänen befragt. Sie ist Rechtsanwältin und vertritt Freifunker und Tor-Aktivisten, die unberechtigt abgemahnt wurden.

Geschäft mit der Angst

RA beata hubig

Rechtsanwältin Beata Hubrig.

netzpolitik.org: In eurem Vortrag habt ihr die Probleme automatisierter Abmahnungen wegen vermeintlich begangener Urheberrechtsverletzungen ja durchaus grundsätzlich angegangen. Zusammengefasst: Was ist die „Abmahnindustrie“ und warum ist sie ein Problem?

Beata Hubrig: Wir erleben gerade einen Missbrauch von eigentlich auf sorgfältig behandelte Einzelfälle ausgelegten juristischen Werkzeugen zum automatisierten Geldverdienen. Ein paar Juristen nutzen Nischen und Formulierungslücken in Gesetzen unerbittlich aus und nehmen dabei schwerste Kollateralschäden an der gerade erst aufblühenden digitalen Gesellschaft in Kauf – und das für schnödes Geld.

Die massenhaft abmahnenden Kanzleien haben einen Weg gefunden, das Kostenrisiko und damit faktisch die Kosten von fehlerhaften Abmahnungen fast vollständig auf die Betroffenen abzuwälzen. Deshalb haben sie keinerlei Motivation, sorgfältig zu arbeiten und verteilen ihre Abmahnungen inzwischen mit der Gießkanne. Nach unseren Recherchen ist
eine der größeren Kanzleien mit rund 10 000 Fällen monatlich dabei. Rein rechnerisch hat über die letzten zehn Jahre allein diese Kanzlei ein Prozent der Bevölkerung mit ihren Abmahnungen behelligt.

netzpolitik.org: Welche Folgen hat das?

Beata Hubrig: Im Falle der Filesharing-Abmahnungen sind die mittelbaren Folgen ein schmerzlich spürbares Schließen der offenen Netze. Das eigentlich selbstverständliche Teilen so rudimentärer Dinge wie seines Internetzugangs mit Nachbarn und Familie wird unter einen Strafzoll gestellt.

netzpolitik.org: Ihr habt mit dem Abmahnbeantworter im August ein Tool geschaffen, dass die kostenlose Erstverteidigung gegen automatisierte Abmahnungen erleichtern soll. Wie liefen die ersten Monate?

Beata Hubrig: Da wir keine Zugriffe loggen und der Abmahnbeantworter vollständig im Browser läuft, können wir keine quantitativen Aussagen treffen. Das Feedback von Benutzern des Dienstes stimmt aber zuversichtlich: Mehrere Menschen berichteten uns, dass auf das Beantworterschreiben hin die Forderungen zurückgenommen wurden. Eine Kanzlei hat eigens für den Abmahnbeantworter mehrere Textbausteine in ihre Serienbriefsoftware aufgenommen. Und was uns sehr wichtig ist: Es findet eine Debatte über dieses anrüchige Geschäft mit der Angst statt.

Den Spieß umdrehen: Kostenrisiko für Abmahner

netzpolitik.org: Auf dem Congress habt ihr angekündigt, mit dem Abmahnbeantworter nicht mehr nur Selbstverteidigung erleichtern, sondern den Druck auf die geschäftsmäßigen Abmahner erhöhen zu wollen. Was habt ihr vor?

Beata Hubrig: Der Abmahnbeantworter ist ja zuerst ein Werkzeug für jedermann, um ohne einen Anwalt zu beauftragen alle relevanten Fakten für ein erstes Zurückweisen der Forderung an den Abmahner zu kommunizieren. Unter diesen Voraussetzungen steigt das Risiko für die Kanzleien, auf den Kosten weiterer Schritte sitzenzubleiben.

Dies ist aber ein passives Mittel, um den akut Betroffenen zu helfen. Um auch politisch wirksam zu sein, muss bei den Abmahnern nicht nur ein erhöhtes Kostenrisiko bei mangelnder Sorgfalt entstehen, sondern eben reale Kosten. Die können entstehen wenn nach Verstreichen der im Beantworterschreiben gesetzten Frist die Forderung trotz offensichtlicher Unrechtmäßgkeit nicht zurückgenommen wurde und zum Durchsetzen dieser Erkenntnis ein Anwalt tätig werden muss. Diese Tätigkeit geht natürlich mit einer Kostennote einher. Dadurch werden die teils sehr schlampig arbeitenden Kanzleien durch Druck auf ihre Geldbörse nachdrücklich an ihre Pflicht zur Sorgfalt erinnert.

netzpolitik.org: Wie funktioniert das konkret? Muss man dann doch einen Anwalt einschalten?

Beata Hubrig: Die zweite Antwort des Abgemahnten wird dann tatsächlich von einem Anwalt geschrieben, und dieser hängt an sein Schreiben eine Rechnung über seine Tätigkeit an. Dabei wird dem Abmahner implizit vorgeworfen, er hätte mit dem ersten Schreiben schon erkennen können, dass die falsche Person abgemahnt wurde und daher die Abmahnung hätte zurückgenommen werden müssen. Da der Abmahner dies jedoch fahrlässig unterließ, trägt er nun auch das Kostenrisiko für das Abmahnverfahren.

Sinn dieses Vorgehens ist, das Massenverfahren zu erschweren. Die anwaltliche Tätigkeit funktioniert nur in der Arbeit am Einzelfall. Jedes Massenverfahren führt dazu, dass falsche juristische Ergebnisse entstehen. In unserem Fall eben dazu, dass viele Anschlussinhaber zu Unrecht abgemahnt werden. Eine saubere Bearbeitung des Sachverhaltes würde aus dem „viel“ ein „wenig“ machen. Das möchten wir erreichen.

netzpolitik.org: Wie findet man einen Rechtsanwalt, der einen dabei unterstützt?

Beata Hubrig: Einen Rechtsanwalt für Urheberrecht zu finden ist heute nicht mehr sehr schwer. In diesem Bereich gibt es sehr viele und sie haben alle auch eine Internetpräsenz. Auf ihren Websites berichten auch viel Urheberrechtsanwälte über ihre Arbeit, so dass der Suchende sich einen Eindruck von den jeweiligen Rechtsanwälten verschaffen kann.

Hoffnung auf Rechtssicherheit für offene Netze

netzpolitik.org: Glaubt ihr, dass sich dem Unwesen der Abmahnindustrie so in absehbarer Zeit ein Ende bereiten lässt, indem man den entsprechenden Unternehmen das automatisierte Abmahnen erschwert? Worauf hofft ihr politisch?

Beata Hubrig: Wir hoffen darauf, dass das Abmahnwesen unter Kontrolle gebracht und das Risiko für einen Anschlussinhaber, der seinen Zugang teilen möchte, mindestens überschaubar wird. Am besten wäre natürlich, dass die Haftung sich nur auf die von ihm begangene Rechtsverletzungen bezieht. Politisch wünschen wir, dass es der Normalfall ist, einen Internetzugang zu haben und zu teilen – egal wo ich mich befinde und in welcher Lebenssituation ich stecke.

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Von der EFF habt ihr ja sicher schon gehört (sonst: eff.org). In den USA gibt es auch noch die ACLU, die sich um Bürgerrechte kümmert. In Deutschland fehlt sowas ein bisschen.

Es war also höchste Zeit, da mal was zu machen, und der Ansatz, über den ich mich auf dem 33c3 ein bisschen mit Ulf Buermeyer unterhalten habe, der da Gründer und Vorsitzender ist, ist die Gesellschaft für Freiheitsrechte mit der nicht zufällig EFF-nahen Abkürzung GFF.

Deren aktuelle Aktion ist eine Klage gegen das neue BND-Gesetz. Das klingt jetzt ein bisschen nach Feuerwehreinsatz, um ein in den Brunnen gefallenes Kind rauszuziehen, und das stimmt ja auch irgendwie, aber das muss halt auch jemand machen. Die GFF hat aber auch langfristig das Ziel, die Community mal aus der Defensive zu holen und ein paar strategische Klagen zu führen.

Das Hauptproblem an der Sache ist, dass die EFF und die ACLU zehn- bis hunderttausende von Fördermitgliedern haben, und daher natürlich viel mehr Aktionsspielraum haben als so eine Neugründung. Damit das etwas werden kann, brauchen wir hier in Deutschland auch eine Kultur des Spenden-Abos, ein Akzeptieren der eigenen Verantwortung, Dinge besser zu machen, und nicht bloß darauf zu warten, dass da mal jemand was tut.

Ich würde euch also alle mal bitten, mit euren Bekannten das Gespräch zu suchen in dieser Angelegenheit. Welche Organisation das am Ende macht ist ja erstmal zweitrangig, aber dieses "ich bin unzufrieden, also spenden ich mal jemandem was, der das dann besser macht" ist in den USA viel üblicher als bei uns, und ich fürchte, dass wir da auch hinkommen müssen. Das muss man letztlich sehen wie eine Spende für Amnesty oder Greenpeace oder das Rote Kreuz oder so. Nur dass es halt dem Erhalt des Rechtsstaates und der Freiheitsrechte hier bei uns zugute kommt. Die Leute reden immer von "unseren Werten", aber kaum jemand ist im Zweifelsfall auch bereit, dafür auch persönliche Verantwortung zu übernehmen. Wir zahlen Steuern, die benutzt werden, um es schlimmer zu machen. Ich fürchte, wir müssen auch sowas wie eine Gegensteuer zahlen, um es wieder besser zu machen.

Nachdem ich euch gesagt habe, dass die GFF eigentlich Langzeit-Spender-Abos braucht, sei auch noch mal explizit darauf hingewiesen, dass die auch kurzfristige Einmalspenden brauchen. Wer sich also das langfristige Commitment nicht leisten kann, sollte sich zumindest eine Einmalspende aus den Rippen leiern :-)

Die GFF wird übrigens auch bei Gaby Weber mithelfen. Und von Gaby Weber kann ich stolz verkünden, dass da jetzt "die ersten Runden finanziert sind" und sie sich jetzt mit der juristischen Streitaxt ins Scharmützel stürzt. Vielen Dank an alle edlen Spender, und vielleicht brauchen wir ja bald keine Direktspendenaufrufe von Klägern wie Gaby nicht mehr, weil wir die GFF haben, die dann einspringt.