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Die 2008 gegründete Internetplattform linksunten.indymedia wurde vor fünf Jahren verboten, die technische Infrastruktur und Geldmittel eines linken Zentrums beschlagnahmt. Elf Strafverfahren stellte die Staatsanwaltschaft bereits 2019 ein, nun verliefen weitere Ermittlungen im Sande.

Eine Polizeikette vor einem Transparent "Wir sind alle Linksunten".
Demonstration in Berlin gegen das Verbot von Linksunten im August 2017. CC-BY 4.0 Matthias Monroy

Fast fünf Jahre nach dem Verbot von linksunten.indymedia hat der Staatsanwalt Manuel Graulich ein Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) eingestellt, schreibt die Antifa Freiburg in einem Posting auf ihrer Webseite. Der Beschluss erfolgte demnach bereits am 12. Juli. Die Freiburger Anwältin der Betroffenen, Angela Furmaniak, hat die Angaben gegenüber netzpolitik.org bestätigt.

Am 25. August 2017 und damit kurz vor der Bundestagswahl hatte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) das Verbot bekannt gemacht und die Internetplattform als „Vereinigung“ deklariert. Damit konnte das Vereinsrecht angewendet werden, das im Vergleich zum Telemediengesetz deutlich weniger Anforderungen für ein Verbot vorsieht. Die Anwält:innen der Betroffenen nennen dies einen „juristischen Kniff“.

Prinzip Openposting

Indymedia wurde im letzten Jahrtausend als weltweites und hierarchiefreies Netzwerk Unabhängiger Medienzentren gegründet. Die Teilnehmenden verstanden sich als Teil des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung. Als erste internationale Auftritte galten der „Carnival Against Capital“ in London und Köln sowie der WTO-Gipfel in Seattle 1999.

Auch in Deutschland starteten Medienaktivist:innen kurz darauf einen Ableger, der zuerst zu den Protesten gegen den Atommülltransport 2001 und anschließend zum G8-Gipfel nach Genua mobilisiert hatte. Nach internen Konflikten erfolgte am 25. September 2008 die Ausgründung „Linksunten“ mit einem anfänglichen Schwerpunkt auf dem Dreiländereck von Deutschland, Schweiz und Frankreich.

Eines der grundlegenden Prinzipien von Indymedia ist das Openposting, wonach dort ohne vorherige Anmeldung Beiträge verfasst werden können. Deshalb muss Indymedia als Nachrichtenplattform angesehen und nach dem Telemediengesetz behandelt werden, argumentierten die Anwält:innen von Linksunten gegen das Verbot.

Zehntausende Euro aus Tresor beschlagnahmt

Zur Begründung der Einstufung als „Vereinigung“ unterstellte das Bundesinnenministerium, linksunten.indymedia verfolge strafrechtswidrige Zwecke und Tätigkeiten und sei deshalb verfassungsfeindlich. Angebliche Beweise stammten unter anderem aus Berichten eines Spitzels des Bundesamtes für Verfassungsschutz, das damals noch von Hans-Georg Maaßen geleitet wurde.

Verboten und unter Strafe gestellt wurde auch die Verwendung des Symbols des funkenden „i“ in Verbindung mit dem Vereinsnamen. De Maizière verfügte zudem die Abschaltung der Domain und von Mailadressen, die sich jedoch im Ausland befanden. Zusammen mit der Bundespolizei hat das Landeskriminalamt (LKA) aus Baden-Württemberg anschließend mehrere Wohnungen angeblicher Mitglieder des verbotenen „Vereins“ durchsucht. Als „Vereinssitz“ behauptete das Innenministerium das Autonome Zentrum KTS, in dem der regionale Indymedia-Ableger tatsächlich zu Treffen einlud und einst auch gegründet wurde.

Auch alle Räume der KTS wurden gerazzt und die komplette technische Infrastruktur beschlagnahmt. Hierzu gehörten mehrere Zehntausend Euro aus einem Tresor des Zentrums. Der Anklage zufolge soll es sich dabei um das „Vereinsvermögen“ von linksunten.indymedia gehandelt haben.

Razzia mit Verfassungsschutz

Die sichergestellten Schriftstücke wurden dem Verfassungsschutzamt des Bundes übergeben. Eine „Task Force“ beim LKA war nach Aussagen eines Betroffenen für die Entschlüsselung der Computer zuständig. Hierbei soll unter anderem die Bundespolizei Unterstützung geleistet haben. Dies war offenbar nicht erfolgreich, merkt die Antifa Freiburg in ihrem Posting an.

Die Einstellung der Ermittlungen erfolgte nach § 170 Abs. 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft nicht genügend Beweise sammeln konnte, um eine Anklageschrift beim zuständigen Gericht einzureichen. Im Juli 2019 war das Verfahren bereits unterbrochen worden, weil fünf Freiburger Betroffene vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig gegen das Vereinsverbot geklagt hatten.

Fraglich war, wer das Verbot vor dem BVerwG überhaupt angreifen darf. Zwar hatten die fünf Betroffenen eine Verbotsverfügung erhalten, die Mitgliedschaft in dem behaupteten Verein aber bestritten. Juristisch wird diese Situation als „Rechtsschutzfalle“ bezeichnet.

Verfassungsbeschwerde noch anhängig

Das BVerwG hielt die Klage schließlich für zulässig, da sich die Kläger:innen auf die im Grundgesetz verankerte „Allgemeine Handlungsfreiheit“ berufen könnten. Im Januar 2020 wies das Gericht die Klage jedoch nach einer mündlichen Verhandlung ab.

Dabei trafen die Richter:innen des 6. Senats keine Entscheidung darüber, ob das Vereinsverbot überhaupt rechtmäßig war. Die Anwält:innen der Fünf haben anschließend eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, über die aber noch nicht entschieden ist.

Neben dem Vereinsverbot hatte die Staatsanwaltschaft zusätzliche Strafverfahren gegen elf Personen im Zusammenhang mit der Website eröffnet. Diese wurden bereits 2019 eingestellt und sämtliche beschlagnahmten Geräte und Gelder wieder herausgegeben.


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Die Berliner Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ hat es geschafft. Die gesammelten 349.000 Unterschriften sollten nach der nun folgenden Prüfung ausreichen, um am 26. September parallel zur Bundestagswahl und zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus einen Volksentscheid durchzuführen. Es geht dabei um nicht weniger als die „Enteignung“ sämtlicher privatwirtschaftlicher Wohnungskonzerne, die mehr als 3.000 Immobilien in der Stadt vermieten. Davon betroffen sind rund 243.000 Wohneinheiten. Doch was von vielen als letzte Möglichkeit gesehen wird, die prekäre Wohnsituation in der Hauptstadt zu verbessern, hat zahlreiche Tücken im Detail und dürfte selbst bei einem Erfolg beim Volksentscheid nicht zu dem großen Wurf führen, den nun viele erwarten. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer Berlin kennt, weiß, dass der dortige Wohnungsmarkt eine einzige Katastrophe ist. Dies ist nicht nur für die Berliner ärgerlich, sondern auch ein Verteilungsproblem mit volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Im Median stiegen dort die Immobilienpreise um 12% pro Jahr – in einigen Stadtteilen steigt der Wert pro Jahr sogar um mehr als 20%. Die Mieten hinken dieser Entwicklung nur leicht hinterher und stiegen bei Neuvermietungen in den letzten Jahren um durchschnittlich 5,6%, in speziellen Lagen sogar um mehr als 9%. Der Anteil der Mietkosten am Einkommen beträgt in der Hauptstadt durchschnittlich stolze 46%. Das heißt auch, dass die Berliner Mieterhaushalte die Hälfte ihres Einkommens direkt nach dem Gehaltseingang gleich an den Vermieter durchreichen müssen. Von Mietsteigerung zu Mietsteigerung vermindert sich dadurch das verfügbare Einkommen, da das Gehalt in der Regel langsamer steigt als die Mieten. Dieser mietenbedingt steigende Kaufkraftentzug für die fast 85% der Stadtbevölkerung, die nicht in den eigenen vier Wänden wohnen, ist eine Konjunkturbremse par excellence. Wer sein ganzes Geld für die Miete ausgeben muss, konsumiert weniger, worunter die lokale Wirtschaft leidet.

Diese Zahlen kann man auf folgende Formel herunterbrechen: Je stärker die Immobilienpreise und Mieten steigen, desto mehr Geld wird von den Mietern an die Vermieter umverteilt. Da die Vermieter dieser Rendite- oder besser Spekulationsobjekte statistisch nahezu komplett zum wohlhabendsten Zehntel des Landes gehören, stellt dies eine gigantische Umverteilung von unten nach oben dar. Oder um es zuzuspitzen: Die Reichen werden immer reicher, die Mieter immer ärmer.

Im Falle der großen Wohnungskonzerne ist dieser Kaufkraftentzug sogar global. Der größte deutsche Wohnungskonzern Deutsche Wohnen, der alleine in Berlin mehr als 150.000 Wohneinheiten vermietet, gehört beispielsweise zum Großteil Investmentbanken und Vermögensverwaltungen, die fast ausschließlich in den USA sitzen – größter Einzelaktionär ist BlackRock mit einem Anteil von rund acht Prozent. So fließen die Mieten der Berliner über die Deutsche Wohnen als Dividende in die Wall Street und werden von dort aus an die Kunden dieser Finanzkonzerne auf der ganzen Welt weitergereicht. Es ist richtig, diese Entwicklung zu korrigieren, und das Grundgesetz bietet dafür sogar einen geeigneten Rahmen.

Das Motto der Berliner Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ ist zugegebenermaßen schlecht gewählt. Das Grundgesetz sieht Enteignungen vor und davon wurde auch in der Vergangenheit rege Gebrauch gemacht. Wann immer eine neue Autobahn, ein Braunkohlerevier oder eine Stromtrasse entstehen sollte, wurden renitente Eigentümer von Grund und Boden mittels Artikel 14 daran erinnert, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch doch bitteschön auch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen solle – zumindest wenn die Allgemeinheit gerne Auto fährt und Kohle verheizt. Das Grundgesetz sieht jedoch nicht nur die Enteignung nach Artikel 14, sondern auch ganz ausdrücklich die Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden“, heißt es dort in der dem Grundgesetz so eigenen juristendeutschen Mischung aus Pathos und Bürokratie. Davon wurde jedoch in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik noch nie Gebrauch gemacht. Der Berliner Volksentscheid sieht nicht die Enteignung, sondern genau diese Vergesellschaftung nach Artikel 15 vor. Korrekt müsste die Initiative also „Deutsche Wohnen & Co. vergesellschaften“ heißen.

Was heißt das konkret? Ginge es nach der Bürgerinitiative, würde der Berliner Senat ein Gesetz einbringen, das die Wohnungskonzerne zwingt, ihre Wohnungen an eine noch zu gründende öffentliche Wohnungsgesellschaft zu verkaufen. Die 243.000 Wohnungen wären dann im Besitz der Stadt Berlin. Das klingt simpel, bringt jedoch zwei Probleme mit sich.

So sieht das Grundgesetz eine angemessene Entschädigung des Vorbesitzers vor. Was genau hier „angemessen“ ist, ist jedoch juristisches Neuland – wie bereits erwähnt, es gab in der Vergangenheit noch keinen Präzedenzfall. Das Spektrum reicht hier von der Schätzung der Bürgerinitiative, die bei acht Milliarden Euro liegt, bis hin zu den Schätzungen des Berliner Senats, die auf Basis des Marktwerts bei 28,8 bis 36 Milliarden Euro liegen. Sollte der Volksentscheid Erfolg haben und die Politik dem Votum der Bürger folgen, würde diese Frage wohl in letzter Instanz vom Bundesverfassungsgericht entschieden. Und es wäre dabei noch nicht einmal gesagt, dass es bei den 36 Milliarden Euro bliebe. Jeder Bauer, der ein Stück Land, das beispielsweise für den Bau einer Autobahn benötigt wird, über ein Enteignungsverfahren an den Staat abtreten muss, wird bestätigen können, dass die gerichtlich festgesetzten Entschädigungszahlen im Zweifel eher großzügiger als die Marktpreise ausfallen. Woher will die chronisch klamme Stadt Berlin dieses Geld nehmen?

Die Bürgerinitiative sieht vor, dass die Entschädigungssumme über langfristige Kredite mit den Mieteinnahmen getilgt wird. Das mag bei einer Summe von acht Milliarden Euro funktionieren. Bei einer Summe, die rund fünfmal so hoch ist, wird die Stadt Berlin jedoch nicht darum herumkommen, die laufenden Kreditkosten aus dem regulären Haushalt zu tragen. Dieses Geld fehlt dann für andere Dinge. Zudem ist es vollkommen offen, ob die Stadt überhaupt Kredite in dieser Höhe aufnehmen darf – schließlich hat die Politik im Bund und auch in der Stadt Berlin mit der Schuldenbremse derartigen Vorhaben einen mächtigen Riegel vorgeschoben. Auch hier müssten wohl Gerichte entscheiden.

Dies sind aber ohnehin eher Gedankenspiele, die voraussetzen, dass die Politik ein positives Votum der Bürger auch tatsächlich akzeptiert und umsetzt. Dazu ist der Berliner Senat durch den Bürgerentscheid aber keineswegs gezwungen. Gerade der Berliner Senat ist bekannt dafür, das Ergebnis von Volksentscheiden schon mal auszusitzen oder komplett zu ignorieren. So paradox es klingt: Nach der Berliner Verfassung hat ein Volksentscheid eigentlich nur dann eine realistische Chance auf Umsetzung, wenn die Meinung des Volkes sich nicht von der Meinung der Senatoren unterscheidet. Und die SPD hat bereits klipp und klar erklärt, dass sie nichts von den Ideen der Bürgerinitiative hält. Bei CDU und FDP sieht es genauso aus. Nur Linke und Grüne unterstützen die Idee, doch eine dunkelrot-grüne Mehrheit wird es in Berlin nicht geben und damit ist es auch eher unwahrscheinlich, dass ein mögliches positives Ergebnis des Volksentscheids überhaupt konkrete Folgen haben wird.

Dennoch ist die mit dem Volksentscheid verbundene Debatte wichtig. Bei der gesamten Debatte darf man nämlich nicht vergessen, dass die heute kritisierten Wohnungskonzerne nicht vom Himmel gefallen sind. Der Grundstock der Berliner Immobilien der Deutsche Wohnen stammt von der ehemals öffentlichen Immobiliengesellschaft GSW. Deren damals 65.000 Berliner Wohnungen wurden 2004 von der rot-roten Koalition in Berlin für rund zwei Milliarden Euro an private Investoren verkauft und fanden später ihren Weg in das Portfolio der Deutsche Wohnen. Fast alle Wohnungen, die jetzt für eine stattliche Summe zurückgekauft werden sollen, wurden zuvor aus der öffentlichen Hand an private Investoren verkauft.

Kritische Stimmen, wie die NachDenkSeiten, haben seit jeher auf die negativen Folgen der Privatisierung hingewiesen. Die heutige Debatte wäre überhaupt nicht nötig gewesen, wenn man damals auf die kritischen Stimmen gehört hätte. Man kann also letztlich nur hoffen, dass die Öffentlichkeit ihre Lektion aus den Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt gelernt hat. Die Fehler wurden gemacht und es wird unter den neuen neoliberalen Rahmenbedingungen wie der Schuldenbremse leider nicht möglich sein, sie rückgängig zu machen. Wenn man jedoch wenigstens aus diesen Fehlern lernt und sie in Zukunft vermeidet, wäre jedoch schon viel gewonnen. Und irgendwann könnte man dann ja mal darüber nachdenken, auch die Rahmenbedingungen zu ändern. Dies würde einer Politik, die wirklich die Interessen ihrer Wähler vertritt, die Möglichkeiten schaffen, die sie sich selbst verwehrt hat.

Titelbild: hanohiki/shutterstock.com

Article note: +1 + #dranbleiben!

Die GEW Studis und die Brandenburgische Studierendenvertretung (BRANDSTUVE) veröffentlichen gemeinsam ein Positionspapier zur von den Koalitionsparteien vereinbarten Novelle des Brandenburgischen Hochschulgesetzes.

Hier gehts zum Download:positionspapier_bbghg_gewstudis_brandstuve_20210531

Article note: #bigthx + R.I.P.
Peter Grottian

Das Digitale lag ihm nicht. Er schrieb bis zuletzt handschriftliche Briefe und wehrte sich in einem studentischen Projekt 2002 vehement gegen eine Internetpräsenz: „Kein Mensch braucht eine Webseite“. Extinction Rebellion und Fridays for Future kritisierte er zuletzt dafür, dass sie acht Stunden am Tag in den sozialen Medien verbringen würden anstatt die Obrigkeit in die Knie zwingen.

Für den Politologen Peter Grottian waren die reale Begegnung, das Schmieden von Bündnissen und die Aktion wichtig.

Während er dem Internet und sozialen Medien kritisch gegenüberstand, fasste er die Universität umso mehr als Ort der Demokratie, der Emanzipation und der politischen Unruhe auf. Viele seiner Seminare waren darauf angelegt, dass am Ende ein Protest herauskam. Sie waren darauf angelegt, dass die Studierenden außerparlamentarische politische Organisierung von der Pike auf erlernen. Grottian, das war Aktivismus an der Universität. Und immer wieder appellierte er dabei: „Ihr müsst Euch verbünden, sonst ändert sich nichts.“

Schule des Aktivismus

Und so prägte er in den fast drei Jahrzehnten seines Wirkens als Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft Generationen von Studierenden. Er gab ihnen das Handwerkszeug für die demokratische Rebellion mit auf den Weg, hatte ein offenes Ohr und war ein beliebter Professor, vor dessen gemütlichem Büro immer zahlreiche Studierende warteten. Manche davon auch, weil sie als Langzeitstudenten bei der berüchtigten „Zwangsberatung“ bei ihm keine Standpauke anhören mussten, sondern bei Kaffee und Keksen politisch diskutieren konnten.

Seine Prüfung bei Grottian zu machen, das hieß, dass man keine Fragestellung bekam, sondern ein leeres Blatt, auf dem man die Fragen selbst stellen sollte. Freiheit der Lehre, Freiheit der Universität, Freiheit des Denkens – ganz praktisch umgesetzt. Heute im verschulten Bologna-System wäre einer wie Grottian undenkbar.

„Wenn jemand erwischt wird, zahle ich“

Grottian, der „bemooste alte Karpfen“, war auch anstrengend, manchmal paternalistisch und dominant in der Durchsetzung seiner Ideen. Auf der anderen Seite aber eben wunderbar befreiend, weil er Dinge ermöglichte, die heute an an Universitäten nicht mehr möglich sind. Und dabei hatte er immer ein Gespür für die Provokation und die mediale Wirkung von Protesten.

Es war ein ermächtigendes Gefühl, einen Professor zu haben, der seine Studierenden anstiftet, zusammen mit ihm eine große demonstrative Schwarzfahrer-Aktion zu starten, um gegen die Streichung des Sozialtickets und die Erhöhung der Preise im Berliner Nahverkehr zu protestieren.

Ein Professor, der auch noch einfach so zusagte: „Wenn jemand erwischt wird, dann zahle ich.“ Am Ende gab es einen Strafbefehl von 3000 Euro gegen ihn, konservative Landespolitiker forderten seinen Rauswurf aus der Uni. Der Universität gelang es allerdings nie, den unbequemen Professor irgendwie zu mäßigen.

Manchmal zwischen den Stühlen

Die Schwarzfahrer-Aktion war eine der zahlreichen Aktionen, an denen Grottian als Ideengeber, als Anstifter, als Spiritus Rector, als Katalysator, Initiator und Anschieber beteiligt war.

Bei einem anderen Bündnis, gestartet in einem Seminar, versuchte Grottian im Jahr 2002 den damals schon zum Ritual verkommenen Berliner 1. Mai neu zu erfinden und zu politisieren: Die Polizei sollte sich aus Kreuzberg komplett zurückziehen, dafür sollte der komplette Bezirk ein politisches Straßenfest werden. Sowohl der Innensenator lehnte das Konzept ab, wie auch die autonome Szene.

Mal wieder war Grottian zwischen allen Stühlen, ihm wurde damals sogar sein kleines Auto abgefackelt. Später entkernte der Berliner Senat Grottians Konzept zu einem unpolitischen Straßenfest mit massiver Polizeipräsenz.

Peter Grottian mit Zylinder
Professor Peter Grottian ehrt bei einem Satire-Protest im Jahr 2019 den Berliner Immobilienbesitzer Padovicz für seine Verdienste und verleiht ihm die Ehrenbürgerwürde. Alle Rechte vorbehalten Christian Mang

„Mehr Zivilen Ungehorsam!“

Grottian prägte mit solchen und zahlreichen anderen Aktionen und Bündnissen über Jahrzehnte die Sozialproteste in Berlin, was ihm Bezeichnungen wie „Bewegungsunternehmer“, „Krawallschachtel“ und „Bewegungsonkel“ einbrachte. Für seine Aktivitäten wurde er über Jahre vom Berliner Verfassungsschutz überwacht.

Grottians Steckenpferd war dabei immer der zivile Ungehorsam, die gezielte und gewaltfreie Regelverletzung. Für ihn war der zivile Ungehorsam „das Salz in der Suppe der Demokratie“, ein Mittel um „gesellschaftliche Nachdenk- und auch Umdenkprozesse anzustoßen“.

Er zog gegen den Berliner Bankenskandal durch das Reichenviertel der Stadt, gründete das Berliner Sozialforum mit oder rief zum Überfall auf Banken mit Schokopistolen auf. Er setzte keine Hoffnung in Parteien, weil diese ohne Druck von der Straße nicht zu sozialer Veränderung bereit seien. Seine politische Haltung wurde 2007 bei seiner Versetzung in den „Unruhestand“ treffend mit „Radikaler Reformismus“ beschrieben.

Vorreiter und Praktiker

Grottian war auch ein Vorreiter: Als Professor verzichtete er zusammen mit Wolf-Dieter Narr schon im Jahr 1985 auf ein Drittel seines Professorengehaltes, damit am Berliner Otto-Suhr-Institut eine Stelle für eine Professorin geschaffen wird. Er forderte damit mehr Feminismus an der Universität und stellte gleichzeitig professorale Privilegien infrage. Grottian war nicht der große Theoretiker, sondern der große Praktiker.

Grottian engagierte sich über Jahre im Grundrechtekomitee gegen Überwachung und für den Ausbau von Grund- und Freiheitsrechten. In diesem Zusammenhang war er auch an der Publikation des Grundrechte-Reports beteiligt.

Peter Grottian ist am Donnerstag in Bregenz im Alter von 78 Jahren gestorben.


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Article note: #daankeee! + #toitoitoi

Kurzversion:

Wir starten eine Umfrage zu einer Massenklage! Am 31.12.2020 droht der Rückzahlungsanspruch zu verjähren. Da das Land die Sache weiter aussitzt, bedeutet dass, dass ihr bis dahin selbst aktiv werden müsst. Wir wollen das einfach und risikolos für möglichst viele ermöglichen. Denn es kann einfach nicht sein, dass das Land damit durchkommt. Dazu brauchen wir Input von euch. Bitte tragt euch bis 15.10. ein uns sagt weiteren Kommiliton*innen bescheid!

https://survey.zohopublic.eu/zs/dsB8Se

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Genauere Infos:

Liebe alle,
ihr seid hier vernetzt, weil ihr die verfassungswidrigen Rückmeldegebühren zurückhaben wollt, die zwischen 2000/01 und 2007/08 im Land Brandenburg erhoben wurden. Leider hat die Landesregierung nicht denselben Weg wie in Berlin gewählt, wo auf Antrag unbürokratisch zurückgezahlt wurde. Stattdessen behauptet das Land, die Gebühren seien verjährt. Dagegen klagen nun erneut ehemalige Studierende. Es zeichnet sich aber ab, dass in diesem Jahr nicht mehr die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vorliegen wird. Gleichzeitig gehen die uns unterstützenden Anwält*innen davon aus, dass am 31.12.2020 wirklich Verjährung einsetzt. Für euch heißt dass, dass ihr überlegen müsst, vor dem 31.12.2020 selbst zu klagen. Wir arbeiten gerade an Vorschlägen für euch, wie ihr unkompliziert und möglichst ohne eigenes finanzielles Risiko klagen könnt – dazu wollen wir Kontakt zu einem Prozesskostenfinanzierer aufnehmen. Dieser behält im Fall des gewonnenen Verfahrens jedoch einen Teil der Summe ein (meist 30%). Alternativ können wir euch eine einfache Musterklageschrift zur Verfügung stellen, wenn ihr selbst auf eigenes Risiko klagen wollt. Sollten viele Leute selbst klagen wollen, kann man sich auch in Streitgenossenschaften zusammentun und damit Verfahrenskosten reduzieren. Es ist auch denkbar eine Crowdfunding Kampagne zu starten, wenn es dafür Bereitschaft gibt. Wir möchten gerne rechtzeitig vor dem 31.12.2020 ausloten, welche Variante in Betracht kommt. Daher starten wir diese unverbindliche Umfrage. Denn die erste Variante über den Prozesskostenfinanzierer kommt nur zu Stande, wenn sich ca. 200 Leute beteiligen. Die Klagen müssten an den 3 Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg eingereicht werden. Nach der Umfrage würden wir euch über das Ergebnis informieren und abfragen, wer sich verbindlich beteiligen möchte.
Bitte nehmt nur einmal an der Umfrage teil. Bitte macht auch ehemalige Kommiliton*innen darauf aufmerksam.

https://survey.zohopublic.eu/zs